Freihandelsabkommen: Saatgutnutzung in Kolumbien schwierig für normale Bauern

Freihandelsabkommen: Saatgutnutzung in Kolumbien schwierig für normale Bauern

 “Ihr werdet es zu spüren bekommen”

Interview von Andrea Heinz

Kolumbianische AktivistInnen über die verheerenden Folgen von Freihandelsabkommen, restriktive Gesetze zur Saatgutnutzung und bäuerlichen Widerstand

Freihandelsabkommen, wie sie Kolumbien mit den USA und Europa verhandelt beziehungsweise bereits beschlossen hat, fügen der lokalen bäuerlichen Bevölkerung massiven Schaden zu – so die Kritik lokaler AktivistInnen. Restriktive Gesetze zur Saatgutnutzung machten die Bäuerinnen und Bauern abhängig von internationalen Großkonzernen, für die Monsanto ein prominentes Beispiel ist.

Drei AktivistInnen aus Kolumbien – die Saatguterhalterin Cynthia Osorio Torres, Albeiro Antonio Alvarado Catuche von der Nationalen Agrarkoordination und Alba Marleny Portillo Calvache vom “Netzwerk der Erhalter der Samen des Lebens” – sind bis zum 6. April in Europa, um über die Zustände in Kolumbien und Möglichkeiten des Widerstands zu informieren.

die Standard.at: Sie sind auf Informationstournee in Europa, um über die kolumbianische Landwirtschaftspolitik und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung zu sprechen. Was macht diese Politik so verheerend?

Alvarado Catuche: Kolumbien wurde oft angegriffen seit der Kolonialisierung. Mit der wirtschaftlichen Öffnung in den 1990er-Jahren kam der Neoliberalismus nach Kolumbien – eine weltweite Politik, die uns alle betrifft. Die Mehrheit der Kolumbianer wird immer ärmer, Arbeitslosigkeit und Hunger nehmen zu. Die Regierung macht Gesetze, um dem internationalen Markt Tür und Tor zu öffnen. Staatliche Firmen werden verkauft, und alles, was das Land hat, wird zum Geschäft gemacht.

Osorio Torres: Forderungen der Weltbank an Kolumbien haben den Staatsapparat völlig zerstört. Viele Institutionen, die die bäuerlichen Gesellschaftsstrukturen schützten, wurden abgebaut. Mit den Freihandelsabkommen, die Kolumbien mit den USA bereits beschlossen hat und mit der EU noch verhandelt, hat sich die Lage verschärft. Die Verhandlungen finden oft halb versteckt statt, die Bevölkerung bekommt nichts davon mit.

dieStandard.at: Welche Probleme bringen diese Abkommen für den bäuerlichen Sektor?

Osorio Torres: Sie bringen eine weitere Verringerung des Schutzes von Agrarprodukten. Die Länder, die das Abkommen unterschreiben, müssen das Sortenschutzgesetz UPOV91 unterschreiben. Diese Sortenschutzkonvention verlangt, dass das, was früher ohne Zertifizierung gemacht wurde, jetzt mit zertifiziertem Saatgut stattfinden muss. Alle Samen, die verkauft, getauscht, geschenkt, ausgesät oder auch nur aufbewahrt werden, müssen zertifiziert werden. Dafür muss mein Samen vier Forderungen erfüllen: Er muss homogen, neu, stabil und unterscheidbar sein. In Kolumbien, wo eine hohe Biodiversität vorhanden ist und es vor allem kleine und mittlere Bauern gibt, die immer dieses Saatgut verwendet haben, können die Samen diese Forderungen nicht erfüllen.

dieStandard.at: Ist es überhaupt möglich, Saatgut auf die verlangte Weise zu zertifizieren?

Osorio Torres:  Es gibt nur sehr wenige Unternehmen, etwa Monsanto, die es auf diese Art und Weise produzieren können. Es gab Bäuerinnen und Bauern, die versucht haben, die Samen zertifizieren zu lassen, aber sie haben es nicht geschafft. Dazu sind Investitionen nötig und Forschung, die man wiederum nur mit viel Geld und speziellen Utensilien betreiben kann. Man könnte es mit aller Kraft versuchen – aber es ist nicht einmal wünschenswert. So ein Samen könnte vielleicht zu größeren Erträgen führen, aber er ist genetisch schwächer, anfälliger für Plagen, weniger widerstandsfähig.

dieStandard.at: Was passiert, wenn man mit nichtzertifiziertem Saatgut weiterarbeitet?

Osorio Torres: Die Verordnung 970, die von der kolumbianischen Landwirtschafts- und Viehzuchtbehörde 2010 eingeführt wurde, stellt die Produktion, Verwendung und Vermarktung von Saatgut unter staatliche Kontrolle; alle nichtregistrierten Sorten sind verboten. Die Behörde ließ in der Folge 4.000 Tonnen Saatgut beschlagnahmen, darunter Saatgut für Kartoffeln, Mais, Reis und Bohnen.

 

kolumbianische_aktivistinnen

dieStandard.at: Wer ist von diesen Verordnungen vor allem betroffen?

Osorio Torres: Vor allem wurde von VermittlerInnen und ProduzentInnen beschlagnahmt, aber auch von Kleinbäuerinnen und -bauern. Neben Beschlagnahmung drohten ihnen auch Haft- und Geldstrafen.

Portillo Calvache: Die landwirtschaftliche Arbeit wird grundsätzlich vor allem in der Familie erledigt, sie ist am meisten betroffen. Im Prozess der Domestizierung der Samen sind es wiederum vor allem die Frauen, die eine sehr wichtige Rolle spielen, weil sie in den Gärten arbeiten.

dieStandard.at: Hat sich in der Folge der Beschlagnahmungen Widerstand geregt?

Osorio Torres: Glücklicherweise wurde ein Dokumentarfilm über die Beschlagnahmungen gedreht. Er heißt “Kolumbien 970”, durch ihn wurde die Problematik des Saatguts publik. Es gab sehr viel Mobilisierung und Streiks, die aufgrund dieser Resolution durchgeführt wurden. Die Regierung musste öffentlich Stellung nehmen und gab bekannt, die Verordnung 970 auf Eis zu legen. Das war zuerst ein Grund zur Freude – aber uns wurde schnell klar, dass der Terminus juristisch bedeutungslos ist. Seit zwei Jahren hat die Regierung nun keine Beschlagnahmungen mehr durchgeführt. Für die Verordnung gibt es einen neuen Vorschlag, den wir noch schlimmer finden: Er verbietet die Kommerzialisierung von bäuerlichem, einheimischem, altem Saatgut. Dieser Zusatz wird gerade verhandelt, wir wissen nicht, wie es damit weitergeht.

dieStandard.at: Wie gestaltet sich grundsätzlich der Widerstand in Kolumbien?

Alvarado Catuche: Wir haben Gruppen gegründet und versucht, die Masse wachzurütteln und zu sagen: “Seht hin, was hier passiert!” Die Studierenden haben ein Gesetz angepackt, das die öffentliche Bildung betrifft, und eine “Bewegung der Empörten” gegründet. Generell gibt es viel Solidarität aus der städtischen Bevölkerung. Das Parlament hier ist sehr korrupt und paramilitärisch. Deshalb haben wir selbst einen Gegenvorschlag gemacht: den Kongress der Völker. Im März 2013 hat der nationale Streik der Kaffeebäuerinnen begonnen, weil die Kaffeepreise wegen der wirtschaftlichen Öffnung international stark gefallen sind – das war ein Erfolg. Ein nationaler Landwirtschaftsstreik fand im August und September 2013 statt. Seit 40 Jahren gab es keine vergleichbare nationale Bewegung.

dieStandard.at: Wie hat die Regierung darauf reagiert?

Alvarado Catuche: Sie hat verschiedene Verhandlungstische in verschiedenen Regionen eingerichtet. Das war ein Fehler, damit wurde die soziale Bewegung zersplittert. Wir haben gesagt: Die Verhandlungstische bleiben, aber der Streik bleibt auch. Die Regierung hat daraufhin einen Landwirtschaftspakt eingeführt. Aber als KleinbäuerInnenbewegung haben wir ihn nicht akzeptiert. Er kommt von “Krawattenträgern” – aber wir tragen Ponchos. Es gab in der Folge einen Agrargipfel, der ein großer Erfolg war, weil dort ein Forderungskatalog eingeführt wurde. Und es gibt nur noch einen einzigen Verhandlungstisch. Von dort ausgehend kommt im Mai eine Serie von Streiks und Mobilisierung.

dieStandard.at: Kann man auch im Alltag Widerstand leisten?

Portillo Calvache: Es gibt auch Kämpfe, die nicht so sichtbar sind neben der politischen Arbeit, aber genauso wichtig. Wir haben im Jahr 2002 das “Netzwerk der Erhalter der Samen des Lebens” gegründet. Dessen Basis ist der Erhalt von einheimischem, traditionellem Saatgut – denn die Nahrung ist es, die uns alle vereint. Wir kämpfen gegen den Verlust der Saatenvielfalt, aber auch gegen das Verschwinden dieser Kultur und des damit verbundenen Wissens. Eine unserer wichtigsten Kampagnen ist die zur Rettung der Samen. Jedes Mitglied des Netzwerks setzt sich für die Rettung eines Samens ein, den er oder sie wichtig findet. Diese werden verteilt, man sät sie aus und konsumiert sie. Außerdem tauschen wir die Samen untereinander.

dieStandard.at: Auch in Europa wird über ein Freihandelsabkommen mit den USA verhandelt, auch hier gibt es eine starke kleinbäuerliche Kultur. Macht es Sinn, sich auf dieser Ebene international zu vernetzen?

Alvarado Catuche: Das ist eines unserer Ziele: dass sich die alternativen Bewegungen zusammenschließen. Wir haben es mit einer weltweiten Bedrohung zu tun. Das Saatgut und die Nahrung der Menschheit sind bedroht. Wenn wir uns international zusammentun, können wir uns besser dagegen koordinieren.

Portillo Calvache: Wir sind unter anderem deshalb hier – um zu zeigen, welche Folgen ein Freihandelsabkommen haben kann. Natürlich müsst ihr eure eigenen Erfahrungen machen, aber ihr werdet es zu spüren bekommen. (Andrea Heinz, dieStandard.at, 3.4.2014)

Wer die Bewegung auch aus dem Ausland unterstützen möchte, hat die Möglichkeit, die Patenschaft für einen Samen zu übernehmen. Infos dazu finden sich (in Spanisch) auf der Red de Semillas Website.

Das Europäische BürgerInnenforum bietet außerdem und unter anderem die Möglichkeit, einen Protestbrief an die kolumbianische Botschafterin in Bern zu unterzeichnen.

 

Weitere Infos auch auf:

⇒Kartoffelkombinat.

Europäisches Patentamt weitet Geschäft mit Patenten auf Leben aus

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Quelle: http://diestandard.at/2000001058236/Ihr-werdet-es-zu-spueren-bekommen

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